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Erfahrungsbericht über PJ-Tertial in Chirurgie im Tribhuvan University Teaching Hospital in Kathmandu/Nepal von 31. März 2008 bis 20. Juli 2008

Von Barbara Fürbeck



1.Motivation
2.Bewerbung und Vorbereitung
3.Tribhuvan University Teaching Hospital
4.Tagesablauf in der Chirurgie
5.Land und Leute
6.Fazit



1.Motivation
Das chirurgische Tertial des PJs wollte ich in einem Entwicklungsland verbringen, um zu erfahren wie Medizin mit eingeschränkten Mitteln praktiziert werden kann, und um zu sehen unter welchen Umständen Ärzte in diesen Ländern arbeiten. Außerdem interessierte es mich, welche Krankheiten in einem Entwicklungsland vorherrschen. Da ich mich schon immer für Nepal, für seine Kultur, seine Völker und seine Landschaften begeisterte, entschloss ich mich, ein PJ-Tertial in diesem Land zu machen.

2. Bewerbung und Vorbereitung
Als erstes habe ich nach einem Universitätskrankenhaus in Nepal gesucht, welches im PJ-Auslandskatalog des Landesprüfungsamtes aufgeführt war. Dort war neben dem Bir Hospital, der National Academy of Medical Science, Kathmandu das Tribhuvan University Teaching Hospital (TUTH), der Tribhuvan University, Kathmandu angegeben. Das TUTH hat eine sehr gut gestaltete Homepage (www.teachinghospital.org.np), auf der alle nötigen Informationen und Bewerbungsformulare für Austauschstudenten zu finden sind. Die Bewerbung kann sehr einfach über Email erfolgen. Ich persönlich habe alle meine Unterlagen auf dem Postweg verschickt und auch dabei gab es keine Probleme. Kurz nach Ankunft meiner Bewerbung im TUTH bekam ich die Zusage per Email zugesandt. Auf weitere Fragen antwortete Miss Urmila Lama, die Zuständige für ausländische Studenten meist rasch und zuverlässig. An Studiengebühren muss man für ein 16-wöchiges PJ-Tertial 500$ bezahlen. Die ersten 4 Wochen kosten 200$, jede weiteren 2 Wochen 50$.
Um nach Nepal einreisen zu dürfen ist ein Visum erforderlich. Dieses kann am Flughafen in Kathmandu ausgestellt werden oder man besorgt es sich schon im Vorhinein bei einem der nepalesischen Konsulate in Deutschland. Man erhält generell nur ein Visum für 60 Tage (40 ?), welches man dann im Immigration Office in Kathmandu jeweils um weitere 30 Tage verlängern lassen kann (pro Verlängerung 30$). Die jährliche Höchstaufenthaltsdauer in Nepal beträgt 150 Tage.
Bevor man nach Nepal reist, sollte man seinen Polio-, Diphtherie-, Tetanus- und Hepatitis A und B- Impfschutz überprüfen. Da Kathmandu über 1500 m liegt, ist eine Malariaprophylaxe nicht erforderlich. Eine Impfung gegen japanische Enzephalitis ist laut Hygieneinstitut nur bei längerem Aufenthalt in sehr feuchten, ländlichen Regionen mit Reisanbau zu erwägen.
Für den Zeitraum meines PJ-Tertials hatte ich eine zusätzliche private Auslands-Krankenversicherung abgeschlossen.

3. Tribhuvan University Teaching Hospital (TUTH)
Das Teaching Hospital der Tribhuvan University ist akademisches Lehrkrankenhaus und eines der größten und best ausgestatten Krankenhäuser Nepals.
Das TUTH verfügt über 430 Betten, in Chirurgie insgesamt 170, 700 ambulante Patienten täglich, ca. 60 Notfallpatienten. Am Teaching Hospital arbeiten etwa 130 fertig ausgebildeten Ärzte, mit ?Interns? und ?Residents? deutlich mehr und mehr als 300 Krankenschwestern. An Abteilungen verfügt das TUTH über: Chirurgie, Anästhesie, Innere Medizin, Notfallmedizin, Orthopädie, Gynäkologie, Dermatologie, HNO und Psychiatrie. In anderen Kliniken auf demselben Gelände sind auch Augen- und Kinderheilkunde vertreten.
Das TUTH ist halbstaatlich, was bedeutet, dass die Patienten einen Großteil der Kosten selbst tragen müssen. In Nepal gibt es so gut wie kein Versicherungssystem. Die finanzielle Eigenbeteiligung am Teaching Hospital ist mit ein Grund für die bessere hygienische Situation als an rein staatlichen Krankenhäusern, wie z.B. dem Bir Hospital. Neben einem für deutsche PJ Verhältnisse unvorstellbar großen Querschnitt an Patienten und ihren Erkrankungen, bietet es für nepalesische Verhältnisse eine durchaus ansehnliche Ausstattung in Diagnostik und therapeutischen Eingriffsmöglichkeiten, sowie einigermaßen akzeptable hygienische Verhältnisse. CT, MRT, immunologische Tests, offene Herz OPs, neurochirurgische, laparoskopische und arthroskopische Eingriffe etc. gehören zum Standard. Außerdem bekommt man eine Vielzahl kreativer Operationstechniken, besonders in der plastischen Chirurgie vor Augen geführt, welche man während eines PJ-Tertials in Deutschland mit größter Wahrscheinlichkeit nicht sehen würde.
Leider sind einige notwendige technische Geräte Mangelware. So gibt es z.B nur 6 Beatmungsgeräte. Wenn mehr Patienten beatmungspflichtig sind, so müssen die Verwandten die Patienten Tag und Nacht per Ambu-Beutel beatmen. Dies ist möglich, da in fast allen Fällen mindestens ein Angehöriger durchgehend vor Ort ist (die Angehörigen schlafen und essen auf den Krankenhausfluren), um sich um den Kranken zu kümmern und einen Großteil der Pflegearbeit zu übernehmen.
Auffallend anders ist die materielle Ausstattung allerdings dort, wo in deutschen Krankenhäusern und Arztpraxen gewöhnlich Einmalartikel in Gebrauch kommen. Sterile Handschuhe werden gereinigt und autoklaviert, um dann in der Stationsarbeit zum Einsatz zu kommen. Verbandsmaterial liegt nicht einzeln verpackt, sondern in großen Autoklavierbehältern bereit. Leider ist die Zahl postoperativer Wundinfektionen und auch der prä- und postoperative Einsatz von Antibiotika hoch.
Verschriebene Medikamente, aber auch Einmalkatheter, Spritzen, Kanülen, usw. werden vom Krankenhaus nicht gestellt. Diese müssen von den Patienten selbst, bzw. ihren Angehörigen in der Krankenhausapotheke gekauft werden. Solange das Material nicht vorhanden ist, kann z.B. auch keine Venenpunktion durchgeführt werden (in der Notfallambulanz werden diese Artikel natürlich gestellt, wenn rasches Handeln nötig ist.

4. Tagesablauf in der Chirurgie
Entsprechend eines persönlichen Rotationsplans, durchlief ich folgende chirurgische Abteilungen: Viszeral-, Thorakal- und Brust-, Neuro- und plastische Chirurgie, wodurch ich Einblick in eine Vielzahl an verschiedenen Krankheitsbildern und OP-Techniken gewann.
Der Tag begann - je nach Abteilung ? zwischen 7.30 Uhr und 8.00 Uhr morgens mit der Visite. Im Anschluss daran fand die ?Morning Conference? statt, in der die Neuzugänge und Vorkommnisse der Nacht übergeben wurden. Jeden Morgen musste ein anderer Student einen der neuen Patienten vorstellen. Diese Fälle wurden jeweils sehr ausführlich besprochen. Die Patientenvorstellungen der Studenten dienten v.a. zu Lernzwecken, wobei der Leiter der Abteilung, Oberärzte und erfahrene Stationsärzte sehr viel erklärten und erläuterten. So konnte man in dieser Besprechung unglaublich viel lernen. Jede Abteilung hatte an verschiedenen Tagen OP-Termine. An diesen Tagen war man im OP-Saal anwesend, konnte bei Operationen assistieren, bzw. wenn keine Assistenz nötig war, die Operation verfolgen. Da die Nepalesen eine eher kleine Statur besitzen, hatte man meist auch eine sehr gute Einsicht ins OP-Gebiet. An den Tagen, an denen keine Operationen geplant waren war man in der Ambulanz eingeteilt, wo man die Möglichkeit hatte eine Bandbreite verschiedener Erkrankungen zu sehen. Viele der Patienten wurden leider erst in fortgeschrittenen Stadien ihrer Erkrankung vorstellig (z.B. tastbares Rektumkarzinom oder ausgeprägte abdominelle Tumoren, Hepatosplenomegalien, usw.), da sie aus finanziellen Gründen oder weiter Entfernung von Kathmandu solange warten, bis sie ihre Leiden nicht mehr ertragen können. Auch gab es die Möglichkeit im aseptischen Operationsraum kleine, ambulante Operationen (z.B. Abszessspaltung oder Warzenentfernungen) selbst durchzuführen, bzw. bei Hernien- und Hydrozelenoperationen zu assistieren.
Regelmäßig wurden auch Seminare, Fallvorstellungen und Konferenzen abgehalten. Am späten Nachmittag, wenn das Op- bzw. Ambulanzprogramm beendet war, fand nochmals eine abschließende Visite zusammen mit den jeweiligen Oberärzten statt.
Ärzte und Schwestern sprechen alle englisch, welches die offizielle Sprache im Krankenhaus und der universitären Ausbildung ist. Ebenso werden, Frühbesprechung, Visiten, Seminare, Konferenzen, usw. in englischer Sprache abgehalten. Die Patienten sprechen oftmals kein, oder nur gebrochenes Englisch. Man sollte also wenigstens so viel Nepali können, dass man sagen kann, dass man sie jetzt auskultieren will. In allen anderen Fällen kann man sich einen einheimischen Studenten oder einen Arzt als Dolmetscher zur Hilfe nehmen.
Die Ausbildung der nepalesischen Ärzte erfolgt nach dem englischen System (M.B.B.S). Auf Anamnese und körperliche Untersuchung wird viel Wert gelegt, was meines Erachtens in der deutschen Ausbildung viel zu kurz kommt.
Besonders fasziniert hat mich die Plastische Chirurgie. Dort werden v.a. Verbrennungsopfer versorgt, da durch zahlreiche Unfälle mit Kerosin-Kochern immer wieder schwerste Brandverletzungen verursacht werden, welche Hautverpflanzungen, Lösung von Narbenkontrakturen oder kosmetische Operationen erfordern. Sehr zu empfehlen ist außerdem, Nachtdienste mitzumachen. Man assistiert nicht nur häufiger im OP, sondern hat in der Notfallambulanz die Chance ärztlichen Tätigkeiten wie Pleurapunktion, Thoraxdrainage und leider auch Reanimation beizuwohnen, bzw. dabei zu assistieren.

5. Land und Leute
Nepal ist ein wunderschönes, sowie an Landschaften und ethnischen Gruppen vielfältiges Land. Kathmandu ist die Hauptstadt des v.a. hinduistisch geprägten (ca. 80% Hinduisten, ca. 20% Buddhisten, winzige Minderheiten von Christen und Muslimen) Landes. An den Terai (das subtropische Flachland im Süden des Landes) schließt sich das Hügelland an. Den Abschluss im Norden bildet das Hochgebirge des Himalaya, welches einige der höchsten Berge der Erde beheimatet.
Nepali ist zwar die Landessprache, aber fast jede der ca. 60 ethnischen Gruppen hat eine eigene Sprache, sodass nicht jeder Nepali spricht. Verständigung ist aber meist immer irgendwie möglich.
Die Nepalesen sind ein sehr freundliches, friedliches und ehrliches Volk. Besonders gegenüber Fremden sind sie sehr zuvorkommend und hilfsbereit.
Landschaftlich sind v.a. der Terai im Süden und natürlich der Himalaya im Norden faszinierende Gegenden. Das Kathmandutal beheimatet die drei alten Königreiche ?Kathmandu?, ?Patan? und ?Bakhtapur? und ist daher in kultureller und historischer Hinsicht für ausländische Touristen sehr attraktiv.
Bis zu den Wahlen zur Verfassung gebenden Versammlung im April 2008, bei denen die Maoisten die Mehrheit erhielten war Nepal eine konstitutionelle Monarchie. Am 28. Mai 2008 wurde dann die Entscheidung getroffen, die Monarchie abzuschaffen und eine föderale, demokratische Republik zu gründen. Unter den gewöhnlichen Nepalesen bestehen große Hoffnungen, dass die Gründung einer Republik Frieden und Wohlstand bringen wird. Ob die neue Regierung jedoch diese Hoffnungen erfüllen wird ist jedoch sehr ungewiss. Die politische Situation ist instabil. Die kommunistische Partei wurde zwar beauftragt, die kommende Regierung zu bilden, doch braucht sie dazu die Unterstützung anderer Parteien, um eine Mehrheit in der Versammlung zu haben. Bis vor Kurzen musste eine Koalition erst noch gebildet werden, und die Schlüsselministerien waren immer noch unbesetzt.
Wie es mit Nepal weitergehen wird, steht in den Sternen und die Zeit wird zeigen, ob sich die Hoffnungen der Nepalesen erfüllen werden.

6. Fazit
Ein PJ-Tertial in Nepal ist trotz der teilweise etwas unsicheren politischen Lage, sehr empfehlenswert. Ich selbst habe mich nie bedroht oder unsicher gefühlt: Ich habe während meines PJs im Teaching Hospital  sehr viel praktisch gelernt und gesehen: seltene Krankheitsbilder, ärmlichste Verhältnisse und soziale Ungerechtigkeiten, welche in Deutschland nicht so augenscheinlich werden wie in einem Land wie Nepal. Der Wohlstand und die (sozial)politische Sicherheit in der westlichen Welt wurden mir in vielen Situationen deutlich. Seitdem schätze ich die gute medizinische Versorgung und Absicherung in Deutschland sehr viel mehr und werde dies auch nicht mehr als selbstverständlich ansehen.
Der Aufenthalt in Nepal zeigte mir immer wieder meine eigenen Grenzen auf. In Situationen der Fremdheit, Ferne, und des Heimwehs lernt man sich selbst besser kennen und wächst an all dem Neuen und Unbekanntem und den damit verbundenen Herausforderungen. .
Zu guter Letzt ist Nepal ein wunderschönes, eindrucksvolles, vielfältiges und gegensatzreiches Land, das jederzeit wieder eine Reise wert ist. Ich habe dort viel gesehen,    erlebt und viele interessante kennen gelernt. Nepal ist in jeder Hinsicht eine Reise wert!

München, 16.10.2008

In der Rückschau nach über einem Jahr gilt es folgendes noch zu ergänzen:
Man konnte im TUTH leider nicht so viel praktisch machen. Oft stand man nur daneben, bzw. musste man viel Eigeninitiative zeigen um praktische Dinge machen zu dürfen. Auch sprachliche Barrieren sollten nicht unterschätzt werden. Man muss sich erst an das Nepali-Englisch gewöhnen bis man einigermaßen folgen kann. Zudem wechselten die Ärzte oft zwischen Englisch und Nepali, sodass leider viel wertvolle Information verloren ging. Trotzdem denke ich habe ich viel gelernt. Wie gesagt, man sieht eine große Bandbreite von Erkrankungen und es wird wirklich mehr Wert auf Anamnese und klinische Untersuchung gelegt. Alles in allem kann ich es nur empfehlen.
Übrigens, das Tertial wurde an der LMU München anerkannt (und die sind da eher streng)! Ich schau mal, ob ich ein paar Photos finde (hatte selber nur eine analoge Kamera dabei).
8. 2.2010