Delhi - Belatanr (Jakhand) - Kalkutta Liebe Alle! Wieder mal ein Lebenszeichen von mir. Für all jene, die nur eine kurze Info wollen: es geht mir gut, ich hatte eine kleine Episode eines verrenkten Magens, war in Delhi und bin nun in Kolkata, der letzten Station meiner Tour. Die Reise ist nun fast vorüber und nach wie vor ist jeder Tag voll von neuen Erfahrungen, Eindrücken und Erlebnissen. Ausführliche Schilderungen finden alle, die Interesse und viel Zeit haben im Folgenden: Mein Weg hat mich in ein Krankenhaus geführt. Nein, nicht wie sonst üblich, um mir alles anzusehen. Nein, diesmal bin ich im ?special room? gelandet. Das ?special? kommt daher,dass ich nicht wie all die anderen Patienten Bett an Bett auf der normalen Station liege, sondern einen separaten Raum bekommen habe. Ganz allein für mich und meine Bauchkrämpfe? Tja, dummer Tourist kann ich da nur sagen. Mein Vertrauen in sämtliche Essenszubereitungen war nach den Aufenthalten bei den Familien so gewachsen, dass ich auch in das Kantinenessen hier ohne große Sorge annahm. Das war dann nicht so gut, und es bescherte mir eine eindrucksvoll qualvolle Nacht und am nächsten Tag die stationäre Aufnahme inkl. einer intensiv Infusions ? und Antibiotikatherapie. Damit wurde ich auch innerhalb von 2 Tagen komplett wieder hergestellt. Ich bin seit einer knappen Woche in dem Krankenhaus hier in Delhi (als Besucher, nicht als Patient), und viele Leute vom Personal schauten in meinem ?spezial room? vorbei um zu fragen wie es mir geht: die Ärzte, das Team aus dem OP, Wachpersonal, Bedienstete von der Kantine und der Verwaltung und Angestellte aus der Ambulanz. Selbst wenn es nur ein kurzes ?Hallo?. Den ganzen Tag über hörte ich auf Station das Stimmengewirr der Familien, die bei ihren Angehörigen saßen ? bereits am frühen morgen, bis spät in die Nacht. Ich mag die Atmosphäre am Abend auf den Krankenstationen, wenn die müden oder schlafenden Patienten für die letzte Wardround besucht werden, die Familienangehörigen auf, neben oder unter dem Bett liegen und sich dort ihr Lager für die Nacht eingerichtet haben. Es ist irgendwie schon einzigartig, dass man hier am Abend den Arzt bei der Visite darauf aufmerksam machen muss, dass er nicht auf das Kind tritt, das hinter ihm auf dem Boden liegt. Aber so kann jeder der will oder muss beim Kranken bleiben. Ja, es ist anders wie ?in my place?, aber kaum ein Kranker ist hier alleine ? nur der Tourist im special room?. An einem Abend konnte ich einen der Gründer der Association of Rural Surgeons treffen, der dieses Krankenhaus hier in Delhi auch gegründet hat. Ich traf ihn am Vormittag und wurde ihm und seiner Frau kurz vorgestellt inkl. dem Thema meiner Dr. Arbeit. Sie hatte enorm viele Fragen, war sehr kritisch und schien fast etwas aufgebracht. Die Fragen waren irgendwo schon verständlich und berechtigt, denn was macht ein Fremder auf dem Land um über Standards zu berichten in einem Land, das so verschiedenen ist von seinem eigenen? Nur es machte nicht gerade die beste Stimmung für das Abendessen.. . Die Wartezeit bis zum Abend war schrecklich lang und ich war extrem unruhig in Hinblick auf das was kommen würde. Kennt ihr das, wenn im Nebenraum ein Gespräch zu hören ist, wo nur ab und an der eigene Name fällt und sonst nur der ein oder andere Wortbrocken zu erhaschen ist? Oh, die Wartezeit war lang und angespannt und ich hatte den Eindruck, dass einiges an Diskussionen im Vorfeld lief. Ich versuchte dann gleich zu Beginn noch mal das ganze wie und warum zu erzählen und zu klären was ihre Erfahrungen und Befürchtungen sind. Wie es scheint war das größte Problem dabei wieder einmal für mich die missverständlichen Art und (Körper)sprache und es war gar nicht so heftig gemeint, wie ich es interpretiert habe. Auch die Situation in dem Krankenhaus zuvor, als ich dachte alle sind so distanziert würde ich inzwischen eher auf Missinterpretation zurückführen. Manchmal sind es nur Kleinigkeiten, aber ich hab hier noch einiges zu lernen und vieles zu fragen, bis ich die Dinge dann richtig verstehen kann. Soviel also zu meinem Lernschritten in interkultureller Kommunikation. Immer wieder fiel mir auf, dass es einen großen Unterschied, dass all die Ärzte, die ich getroffen habe immer zugleich auch Besitzer, Leiter und Manager des Krankenhauses waren. Damit einher geht ein ganz anderes Ausmaß an Verantwortungsbewusstsein und eine andere Art zu denken ? für den Patient, das Krankenhaus, das Personal, die Kosten und die eigenen Belange. Vielleicht wäre es keine schlechte Idee, wenn wir in Dtl. auch immer eine Preisliste im Arztzimmer und in den Patientenzimmern hängen hätten, um eine Idee zu bekommen, was täglich an Kosten entsteht, was für uns selbstverständlich erscheint und worüber hier zum Teil intensiv diskutiert wird. Viele der späten Stadien von Krankheiten, die man hier zu Gesicht bekommt und die man ? so in Dtl. nie sehen würde? kommen nicht zuletzt durch teure Behandlungen und Operationen zustande, welche die Leute einfach extrem lange Zeit versuchen zu verschieben. ?Zu teuer?, das beginnt hier zum Teil bei 100 ? 120 ?. So grob dargestellt bekommt eine Krankenschwester auf dem Land 100 ? 120 ? im Monat und das ist schon ein besser bezahlter Job. Zum Teil hilft das Gesellschaftssystem und die engen Familienbande diese Probleme zu überbrücken. Die gegenseitige Hilfe, auch finanziell ist hier ganz stark ausgeprägt, gerade auf dem Land, wo die traditionellen Strukturen noch erhalten sind. Von Delhi nach Jashidi(Jarkhand) hatte ich dann eine lange Zugfahrt vor mir: einmal von West nach Ost. Jharkhand und Bihar, das sind nun die ärmsten Staaten hier in India. Zum Teil wird für Touristen auch vor ihnen gewarnt, weil die Maoisten hier recht aktiv sind und immer wieder Anschläge verüben. Eigentlich wären die Gebiete ganz gut ausgestattet an Bodenschätzen und auch an fruchtbaren Land (?), aber durch politischen (Un-)willen scheint es nicht möglich zu sein, dass hier auch ein wenig Wohlstand Einzug hält. Zumindest wurde es mir so geschildert und ich lasse das mal ungeprüft so stehen. Problematisch scheint mir allerdings das Klima hier zu sein, denn im Sommer reichen die Temperaturen hier bis zu 50 Grad!? Als ich hier ankam hatte es 43 Grad, der heißeste Märztag seit 6 Jahren und es soll so bleiben. Wieder einmal stoße ich auf den Klimawandel ? nicht theoretisch und in der Zeitung, sondern in Form von welken Pflanzen, ausgetrockneten Flussbetten und den Erzählungen von unberechenbaren Monsunregenzeiten. Was mir in der Ferne immer noch ein wenig Aufschub zu haben schien, ist hier Realität. Und die Extreme zwischen Trockenheit und Überflutungen nehmen zu. Der Regen im Dezember und Januar ist ausgeblieben und normaler Weise gibt es auch im März immer mal noch einen Regenschauer ? aber diesmal gar nichts! Und es sind noch zwei Monate bis zur Regenzeit, wobei es nicht mal sicher ist, dass es dann regnen wird. Es ist ein ganz seltsames Gefühl das mich beschleicht, wenn ich von diesen Änderungen hier höre, denn dem Wetter sind sie hier wirklich ausgeliefert. Vor ein paar Wochen, mitten in der Ernte Zeit hatte es in einem anderen Staat starke Regen und Hagelschauer und eine zerstörte oder verlorene Ernte kann hier den Familien die ganze Lebensgrundlage rauben. Bis Mai werden hier die Sachen reifen, wachsen und geerntet, danach wird die Regenzeit kommen. Selbst Krankheitsbehandlungen und Operationen werden soweit wie möglich bis zum Ende der Erntezeit verschoben, so dass keine Arbeitskraft ausfällt. Das war in manchen Krankenhäusern deutlich zu merken, da die Leute nur kamen, wenn es schon wirklich dringend war und zum Teil auch wieder gingen, selbst wenn sie eine Blindarmentzündung diagnostiziert wurde. Ich hätte ja immer gedacht, dass man dann operieren muss, aber es geht auch mit abwarten. Evtl. werden sie dann als Notfall wiederkommen? Meine vorletzte Reisestation ist nun ein Krankenhaus mitten im ländlichen Gebiet in Jarkhand an der Grenze zu Bihar. Geführt wird das Krankenhaus von Holy Cross Sisters. Zwei Ärzte sind hier, ein Arzt aus dem benachbarten Ort, der einen Teil der Sprechstunde abdeckt und Doktor Victoria, eine Ordensschwester. Sie ist 24h in Rufbereitschaft und wird auch oft in der Nacht herausgerufen. Am nächsten Morgen warten aber 60 ? 100 Patienten darauf gesehen zu werden und manchmal kommt noch eine OP und ein Kaiserschnitt dazu. Es ist also nicht nur ihr Job, es ist ihr komplettes Leben. Einige andere Ordensschwestern arbeiten als OP Schwestern oder Krankenschwestern im Krankenhaus und die anderen sind in der Schule, dem Wohnheim oder als Socialworker in den angrenzenden Gebieten unterwegs. Wenn ich mir anschaue, wie groß der Bedarf an Bildung, Krankenversorgung und Entwicklung hier ist, dann ist das eine sehr beeindruckende Arbeit, die hier geleistet wird. Und seit rund 30 Jahren in denen hier nun dieses Krankenhaus mit der Schule, einem Tbc- und Lepraprojekt, dem Sozial- und Mikrokreditprojekt und einem Bildungsprojekt für junge Frauen ist, hat sich schon viel gebessert und gewandelt. Aber der Bedarf in diesem Gebiet ist so groß! Und nun kommt noch der Wassermangel als neue Herausforderung hinzu. Hier bin ich nun komplett auf dem Land angekommen und es ist eine arme Gegend. Die breiten Flussbetten schlängeln sich ausgetrocknet durch die Landschaft, sandiger, roter, zerfurchter Boden bedeckt die Ebene. Früher war hier noch Wald zu finden, aber das meiste ist inzwischen abgeholzt, da es für Brennholz benutzt wurde. Da die Maoisten gerade für den Tag meiner Anreise und den Folgetag einen ?Streik? ausgerufen haben, musste ich warten, bis ich zu dem Krankenhaus reisen konnte. Andernfalls wäre das Reisen zu gefährlich gewesen, da an diesen Tagen Anschläge auf Bahnstrecken, Straßen und Reisende verübt werden (liebe Eltern, keine Sorge, ich hab es ja überstanden!!). Laut den Zeitungen blieb es relativ friedlich und es war anschließend kein Problem den Weg bis zum Krankenhaus zurückzulegen. Das ländliche Indien, das bedeutet nicht nur, dass die Straßen zum Teil ungeteert und in einem sehr löchrigen Zustand sind und , sondern es heißt auch Hütten aus Lehm, sehnige Arbeiter, sonnengegerbte Frauengesichter, trollartige Kinder mit verklebten, abstehenden Haaren, die auf den Sandstraßen spielen und lange Strecken wo einfach nichts ist außer Wiese, Feld, Trockenheit und ab und an Leute, die zu Fuss oder per Rad auf der Strasse unterwegs sind. Und natürlich überall Tiere: Kühe, Ziegen, Hunde, Hühner, Schweine. Alle laufen auf neben und über die Straßen, meist in sehr gemächlichem Tempo und mit großer Gelassenheit den hupenden Fahrzeugen gegenüber. In dieser Gegend gibt es auch Kohleminen und den Weg über kamen uns immer wieder Arbeiter entgegen, die das Fahrrad komplett mit Säcken voll Kohle bepackt hatten. Es sah extrem schwer beladen aus, so dass ich keine Ahnung habe, wie die Reifen das ausgehalten haben und vor allem, wie die Menschen es schaffen diese Fahrräder bis zu 30 km bei 45 Grad Hitze über das Land zu schieben, um die nächste kleine Stadt zu erreichen, wo sie die Kohle für ein paar Rupien verkaufen können. Niemals hab ich zuvor körperlich so zähe und hart arbeitende Menschen gesehen. Ich hab auch gesehen, wie sie die Kohlesäcke ausladen, alles mit der Hand und barfuss oder evtl. mit Flipflops an den Füßen und ohne jeglichen Schutz vor dem Kohlestaub?Aber das Geld wird nicht reichen, um eine Familie zu ernähren. Ebenso mit den Arbeitern hier im Krankenhaus, die auf den zugehörigen Feldern arbeiten: sie werden für jeden Tag bezahlt den sie arbeiten, d.h. kompletter Verdienstausfall bei Krankheit o.ä. Und es ist wirklich schwere körperliche Arbeit, die hier verlangt wird, aber um die Familie durchzubringen reicht es nicht, so dass die Frau und evtl. auch die Kinder zusätzlich arbeiten müssen und am Sonntag evtl. noch ein Nebenverdienst gesucht wird. Auf der Straße kamen mir immer wieder Frauen entgegen, die Sträucher und halbe Bäume auf ihrem Kopf balancierten und barfuss über die rote, steinige Erde huschten. Das ist Brennholz, das sie für ein paar Rupien verkaufen können und somit zum Familieneinkommen beitragen können. Das Arbeiten im Krankenhaus erfolgt unter beschränkten Bedingungen: Stromausfall gehört zur Tagesordnung, selbst der Generator im Krankenhaus setzt manchmal aus und dann geht die Operation unter Taschenlampenlicht weiter ? ein Abwechslung zum Hakenhalten: OP ? Leuchte sein! Die Wasserversorgung im Wohnhaus setzt im Moment auch täglich aus, so dass mir drei Eimer gegeben wurden, die ich dann vorsorglich füllen kann. Es ist ein blödes Gefühl zu wissen, dass ich mir den Feind im Bad züchte, denn dies hier ist ein Malariagebiet. Aber ohne Wasser ist es genauso blöd, weil es heiß ist und es doch ganz nett ist, wenn ich mich und meine Kleidung waschen kann?Und da sitzen sie dann auch, in schwarzen Massen, die ganzen Moskitos, die nur darauf warten eine uneingecremte Stelle auf mir zu finden oder ein Loch im Moskitonetz?Aber sie stechen auch gern mal durch die Kleidung und auch morgens wenn es sowohl hell als auch warm ist, was sie nach meinem Wissen nicht tun dürften. Das scheint sie jedoch nicht zu stören - mich allerdings schon! Mein Handy hat hier keinen Empfang, es gibt keine Landleitung, weil niemals eine verlegt wurde, das Internet ist langsam und nach 22 Uhr gibt es im Wohnbereich meist keinen Strom mehr, weil dann der Generator ausgestellt wird und die öffentliche Stromversorgung eher Glücksache ist. Aber mit ein wenig Erfahrung wann die besten Zeiten für Strom oder Wasser sind kann ich mich hier ganz gut einrichten. Und es wurde mehr zu einer absichtlosen Spielerei den Lichtschalter zu bedienen, als dass ich tatsächlich Licht erwarten würde. Wenn es dann tatsächlich hell wird, ist es ein wenig wie Weihnachten! Aber es gibt immer das Solarlicht, das zuverlässig für die stromlose Zeit zur Verfügung steht, denn reich an Sonne sind sie hier. Im Krankenhaus überlege ich oft in der Sprechstunde, was es eigentlich ausmacht, dass diese Menschen hier ?arm? aussehen. Es ist nicht unbedingt die Kleidung, die den Eindruck vermittelt. Auch besitzen viele ein Handy, was gerade für die arme Bevölkerung hier eine ganz wichtige Erfindung war, denn so können sie über Distanz in Kontakt bleiben, Absprachen treffen, ohne dass jemand 2 Tage reisen muss und es vertreibt ein wenig die Agonie der Leute, wie mir gesagt wurde. Von dieser Seite hab ich noch nie auf diese Technik geblickt, aber in der Tat: für relativ wenig Geld hat das Handy den ländlichen Gegenden einen Zugewinn an Kontakt und Lebenserleichterung gebracht. Warum aber schauen sie arm aus? Oft ist es die Haut, die lederartig und von der Sonne verbrannt selbst relativ junge Menschen altern lässt. Oft sind es auch die Haare, die erahnen lassen, dass die Waschgelegenheiten rar sind und Seife wahrscheinlich eher schwer zu bekommen ist. Und manchmal ist es einfach der Körperbau ? noch nie habe ich so ausgezehrte und dürre Menschen gesehen wie hier. Die Bilder aus Fernsehen und Zeitung sind bekannt, aber es ist doch anders, wenn ich dann am dünnen Arm des Patienten nach dem Puls taste, seine hervorstehenden Knie sehe, den eingefallenen Bauch abtaste und seine eingesunkenen Augen in dem hohlwangigen Gesicht sehe. Und dann die Frage für mich: wie kann man das ändern? Gibt es überhaupt eine Chance so etwas auf die Dauer zu ändern? Und wo soll man da anfangen? Es liegt ja nicht nur an der Ernährung oder dem Wassermangel, da spielt auch noch die Bildung eine wichtige Rolle und die Aufmerksamkeit der Patienten für den eigenen Körper und die frühen Symptome. Ein Kind kam mit einem stark ausgeprägten Buckel am Rücken, weil die Eltern zu lange diese Schwellung vernachlässigt haben. Wie sooft ist es Tuberkulose, in diesem Fall im Knochen, was die Veränderungen hervorgerufen hat. Eine andere Frau kam, da sie nicht schwanger werden konnte und nun wollte sie eine Medizin. Ihr Mann ist weit weg von ihr, da er für seinen Job an einem anderen Ort bleiben muss und auch er fragt immer nach, ob sie denn jetzt schon schwanger ist. Dass es für die Schwangerschaft den Mann braucht und nicht eine Medizin war ihnen nicht klar. Ja, hier auf dem Land ist Sexualität ein Tabuthema, hingegen ist die Regelblutung unter den Frauen so etwas wie ein Tratschthema: wer ist schwanger, wer nicht und wer vielleicht? Welche Frau kann keine Söhne gebären und hat ihre Meinung dann überhaupt noch ein Gewicht? Gerade die Schwiegermütter halten sich auf dem Laufenden über die Zyklen ihrer Schwiegertöchter und wenn sich keine Schwangerschaft einstellt, dann kann das zunehmend zum Druck auf die Frauen führen. Das System der Mitgift stellt immer noch die Schwierigkeit dar, weshalb weibliche Babys nicht gern gesehen werden, zumindest nicht nach dem 5. oder 6. Versuch? Aber kann man das ändern ? nachhaltig und tiefgreifen? Die Schwestern haben mir erzählt, dass vor 30 Jahren, als sie hier begonnen haben, kein Kind zur Schule geschickt wurde, dass die Menschen kaum Landwirtschaft betrieben und die Unterernährung weit verbreitet war. Heutzutage werden fast alle Kinder zur Schule geschickt, es gibt Bildungsprojekte für Frauen, Gesundheitserziehung und eine ausreichende Nahrungsversorgung ist für die meisten Familien hier im Umkreis gesichert. 150 ? 200 km weiter sieht es wieder anders aus, aber wenigstens ist das ein Beispiel, dass tatsächlich ein Wandel stattfinden kann, durch Hilfe die angeboten wird. Ich war glücklich das zu hören, denn so scheint man doch eine Chance zu einem Wandel zu haben. Für mich ist es ein großer Gewinn hier zu sein. Ich sehe täglich so viele Patienten, kann Schwangere untersuchen, die Lage des Kindes bestimmen, nach Herztönen suchen und Schwangerschaftswochen schätzen. Ab und an darf ich auch den Schwangeren-Ultraschall machen und ich kann solang ich will nach Herzbewegungen, Oberschenkelknochen und Bauchdurchmessern suchen wie ich möchte. Das ist extrem hilfreich für mich. Und ab und an gibt es dann auch Tage, an denen ich plötzlich und ganz unverhofft beim Abtasten auf eine Milz stoße. So ungefähr müssen sich früher die Seefahrer gefühlt haben, wenn sie ein neues Land entdeckt haben: Hallo Milz, da bist Du und ich hab Dich ganz allein gefunden!! In der Tat merke ich, dass ich während dem Studium doch ein wenig mehr gelernt habe, als ich gedacht habe und auf einmal bin ich gefordert quer durch alle Fächer zu denken und mir wieder sämtliche Untersuchungsmethoden in Erinnerung zu rufen. Ja, es ist ein schönes Arbeiten hier, auch wenn ich immer wieder vor klaffenden Lücken meines medizinischen Wissens stehe und mir dann viele dicke Bücher oder eine Internetverbindung wünsche. Und wieder einmal lerne ich soviel über die Eigenarten der Leute hier: denn wenn sie zum Dr. gehen, dann erwarten sie sofortige Besserung der Beschwerden, wie bei einem Wunderheiler. Selbst mit Erklärungen ist es nicht sicher, dass sie einem Glauben schenken und daher gibt es auch so etwas wie ein ?Ärztehopping?, wofür die Patienten zum Teil richtig lange Strecken auf sich nehmen (150 ? 200 km), dann mit unterschiedlichen Antibiotika versorgt werden, die sie nur kurze Zeit einnehmen und damit resistente Stämme heranzüchten. Und nach wie vor hält sich der Glaube, dass Ärzte aus dem Ausland eine bessere Behandlung anbieten. Daher werden sie bevorzugt, wenn irgendwo auf dem Land ein ausländischer Arzt aufschlägt. Ein wenig konnte ich es merken, wenn die Patienten immer begannen mir ihre Krankengeschichte zu erzählen, statt dem Arzt. Es ist schade und störend für mich, dass ich mit den Patienten nur schwer kommunizieren kann. Inzwischen habe ich ein wenig Hindi gelernt, aber die Sprache hier ist eigentlich Sandali. Und sollte ich nochmals nach Indien kommen, werde ich sicher vorher mehr Hindi lernen, denn selbst hier auf dem Land können es viele Leute verstehen. Wie oft wurde ich während meiner Reise gefragt ob ich Hindi spreche und immer musste ich verneinen. Allein wenn ich auf Hindi frage ?Wo haben Sie Schmerzen??, in der Hoffnung, dass ich wenigstens einen Anhaltspunkt bekomme, wo ich untersuchen muss, dann ändert sich sofort der Kontakt zu den Patienten und meist hören sie dann gar nicht auf zu erzählen und zu erklären was ihre Beschwerden sind. Das ist dann wiederum dumm für mich, weil ich es nicht verstehe? Auf dem Rückweg zum Bahnhof für den letzten Weg meiner Reise in Indien fahre ich noch mal für 2h übers Land. Immer wieder Hüttenreihen entlang der Strasse und Menschen, die sich die Zähne am Brunnen putzen, Kinder, die Kälbchen füttern, Frauen die das Frühstück neben der Straße hockend zubereiten und viele Menschen die zu Fuß und barfuss oder mit dem Fahrrad die Straße entlang pilgern zur Schule oder zur Arbeitsstelle. Das hier ist das Indien, das mir fehlen wird in der Stadt. Ich bin für meine letzte Woche in Kolkata angekommen. Es ist das erste Mal während meiner Reise, dass ich alleine unterwegs bin, ohne Familie oder Begleitung die sich um mich kümmert. Und ich merke nun die Nachteile dieser ?Rundumversorung?. Denn ich habe kein Gefühl für die Preise in Indien bekommen und so beginne ich meinen Aufenthalt hier damit, dass ich dem Taxifahrer gut das Doppelte vom normalen Fahrpreis zahle. Dafür wird mir dann von anderen Kunden beim Obstverkäufer gesagt, bei dem ich tapfer versuche zu feilschen, dass er ein ehrlicher Verkäufer ist und mich nicht austricksen wird. Das hat sogar wiederum gestimmt und so werde ich also nun Tag für Tag mein Glück versuchen, bis ich an den richtigen Stellen verhandeln werde. Wie ich erfahren habe, wird mich neben dem Kulturschocke auch ein Temperaturschock in Deutschland erwarten. Hier hat es nämlich weiterhin um die 40 Grad, was es etwas anstrengend macht den Tag über unterwegs zu sein. Und Kolkata ist unheimlich hektisch-überfüllt. Aber ich habe nun gelernt unbeschadet die Straßen zu überqueren (was durchaus eine Kunst ist) und übe mich darin mich in dem Gassendschungel zurechtzufinden. Auch wenn es teils schwierig ist versuche ich den bettelnden Kindern gegenüber konsequent zu bleiben und ihnen weder Geld, Essen oder sonstiges zu schenken. Erstaunlich wie gut einige von ihnen Englisch sprechen können. Ganz lustig war die Entdeckung eines kleinen Buben, vielleicht drei oder vier Jahre alt, der festgestellt hat, dass er lustige rote Linien auf meinem Handrücken produzieren kann, wenn er fest daran drückt und reibt. Also hat er ein wenig Zeit damit verbracht meine weiße Haut mit roten Streifen zu verzieren und war auch ohne Geld glücklich damit. Und wieder die Frage: wie kann man die Situation der Menschen verbessern? Wo muss man ansetzen? Wie kann man wenigstens die Basics gewährleisten, so dass die Leute nicht auf der Straße schlafen und leben müssen, die Kinder in die Schule gehen können und die Säuglinge nicht im Abflusswasser der Hauptstrasse gebadet werden müssen? Ich werde dieses Land auf der einen Seite voller Fragen verlassen, aber auf der anderen Seite so reich an Erfahrungen und Erlebnissen. Da ich soviel bekommen habe, an materiellen und ideellen Dingen, werde ich auch verschuldet in mein Land zurückkehren, weil ich ständig bekommen habe, ohne wirklich was geben zu können. Das ist der schwere Nachteil am Studenten Dasein: ich kann durch meine Arbeit die Menschen noch nicht unterstützen, sondern bin mehr Beobachter und Lernender. Aber die Leute hier sehen das nicht als Problem, sondern sie ermutigen mich es jetzt im Moment anzunehmen und später wenn ich soweit bin dann selbst den Menschen durch mein Arbeiten etwas zurück zu geben. Das ist die Art, wie sie es selbst auch erlebt haben und natürlich wäre es mir lieb, wenn ich das auch eines Tages tun kann. Seid herzlich gegrüßt katharina 5.4.2010 |